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  • Zur Haftung des Abschlussprüfers für die Testate der Wirecard-Bilanzen

17.12.2021

Der Kapitalanlagesenat des OLG München hat sich in einem vorläufigen Hinweis zur Haftung des Abschlussprüfers für die Testate der Bilanzen der Wirecard AG geäußert. Er kritisiert das Landgericht München I und regt in Anbetracht der Vielzahl der Parallelverfahren die Einleitung eines Verfahrens nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz an.

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Die Wirecard AG hatte mit Ad-hoc-Mitteilung vom 22.06.2020 darüber informiert, dass Bankguthaben auf Treuhandkonten in Höhe von insgesamt 1,9 Milliarden Euro mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht bestünden. Am 25.06.2020 stellte die Wirecard AG Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens und am 29.06.2020 versagte die Beklagte für das Jahr 2019 das Testat für die Wirecard AG. Am 25.08.2020 eröffnete das Amtsgericht München das Insolvenzverfahren. Diese Vorgänge haben zu einem drastischen Kursverlust der Wirecard-Aktie geführt. In der Folgezeit haben Hunderte von Anlegern die Beklagte – ein Wirtschaftsprüfungsunternehmen, das die Ordnungsgemäßheit der Bilanzen der Wirecard AG attestiert hatte – vor dem LG München I auf Schadensersatz in Anspruch genommen.

Abschlussprüfer unter Beschuss

Das Landgericht München I hat die Klagen zahlreicher Anleger ohne Beweisaufnahme abgewiesen. Zum Teil wurde die haftungsbegründende Kausalität zwischen den behaupteten Pflichtverletzungen der Beklagten bei den Abschlussprüfungen der Bilanzen der Wirecard AG und dem behaupteten Schaden in Gestalt des Erwerbs von Aktien der Wirecard AG durch die Anleger verneint, zum Teil wurde auch eine haftungsbegründende Pflichtverletzung der Beklagten bei den Abschlussprüfungen als nicht gegeben erachtet.

Vorläufiger Hinweis zur Haftung für Testate

Der 8. Zivilsenat des OLG München hat in einem vorläufigen Hinweis nun ausgeführt:

Gegen die Verneinung der haftungsbegründenden Kausalität bestünden erhebliche Bedenken. Zweifelhaft erscheine schon, ob die Ablehnung einer Kausalitätsvermutung wegen einer durch die – unterstellt – fehlerhaften Bestätigungsvermerke der Beklagten hervorgerufenen sog. „positiven Anlagestimmung“ bei einem DAX-Unternehmen zutreffend sei. Ggf. habe das Landgericht hierzu wohl ein Sachverständigengutachten einholen müssen. Außerdem sei wohl davon auszugehen, dass eine – unterstellt gebotene – frühere Verweigerung des Testats durch die Beklagte dann auch früher zum Insolvenzantrag der Wirecard AG geführt hätte.

Ausgehend von einem derartigen hypothetischen Kausalverlauf spräche dann wohl die allgemeine Lebenserfahrung dafür, dass die Anleger die streitgegenständlichen Aktienkäufe in Kenntnis dessen nicht getätigt hätten. Dabei sei der Schutzbereich von § 826 BGB ebenso eröffnet wie in den „Dieselfällen“. Ob die vorsätzliche sittenwidrige Schädigung im Verschweigen einer unzulässigen Abschalteinrichtung durch den Hersteller oder in einer – unterstellt – „gewissenlosen“ Abschlussprüfung durch einen Wirtschaftsprüfer besteht, könne wohl keinen Unterschied machen.

Testate: Kritik am Landgericht

Somit dürfte entgegen der Auffassung des Landgerichts wohl nicht offenbleiben bzw. ohne Beweisaufnahme verneint werden können, ob der Beklagten eine haftungsbegründende Pflichtverletzung anzulasten ist. Ob der sog. KPMG-Bericht, in dem der Beklagten verschiedene Versäumnisse vorgeworfen wurden, stichhaltig ist, habe das Landgericht wohl nicht aus eigener Sachkunde beurteilen können. Hierfür dürfte vielmehr ein Sachverständigengutachten erforderlich sein. Ähnliches gelte für die Vorwürfe im Bericht des Bundestags-Untersuchungsausschusses zum Wirecard-Skandal vom 22.06.2021, den die Klagepartei auszugsweise vorgelegt habe und mit dem sich das Landgericht gehörswidrig überhaupt nicht mehr befasst habe.

Einleitung eines Verfahrens nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz

Zum Fortgang des Verfahrens hat der Senat angekündigt, dass er erwäge, das Verfahren zur Durchführung der wohl erforderlichen sehr umfangreichen Beweisaufnahme an das Landgericht zurückzuverweisen, falls eine der Parteien dies beantrage. Alternativ hat der Senat angeregt, das Landgericht möge die Einleitung eines Verfahrens nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz erwägen. Angesichts der sehr hohen Zahl an Parallelverfahren sei dies wohl der geeignetste Weg für eine grundsätzliche Klärung der Vorwürfe.


OLG München vom 13.12.2021 / Viola C. Didier, RES JURA Redaktionsbüro

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