11.06.2025

Die Krisen der vergangenen Jahre haben dem Wohlstand und der Nachhaltigkeit in Deutschland geschadet. Das ergibt eine neue Studie, die das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung gefördert hat.

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Corona, Ukrainekrieg, Inflation, Populismus: Die Serie der Krisen im laufenden Jahrzehnt hat der deutschen Wirtschaftspolitik die Bilanz verhagelt. Das geht aus der Analyse von Prof. Dr. Fabian Lindner von der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Technik und Prof. Dr. Anita Tiefensee von der Hochschule des Bundes in Berlin hervor. Für das IMK haben sie anhand von 15 zentralen Indikatoren den Stand der ökonomischen, finanzpolitischen, sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit dokumentiert. Ihrer Auswertung zufolge konnten in den Jahren 2020 bis 2024 „nur die wenigsten Nachhaltigkeitsziele“ erreicht werden. Immerhin sei es aber gelungen, durch staatliche Anti-Krisenpolitik schlimmere Auswirkungen für Wirtschaft und Gesellschaft zu verhindern. Damit Deutschland in Sachen Nachhaltigkeit wieder Tritt fasst, seien künftig massive öffentliche Investitionen nötig.

BIP-Wachstum ohne Wohlstandsgewinn: Deutschlands schwache Erholung

„Um den materiellen Wohlstand und die ökonomische Stabilität ist es nach der Corona- und Inflationskrise insgesamt nicht gut bestellt“, schreiben Lindner und Tiefensee. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) war laut ihren Berechnungen 2024 nur 0,3 % höher als 2019, pro Kopf sogar 1,6 % niedriger, weil seitdem die Bevölkerung um 1,6 Millionen Personen zugenommen hat. Verantwortlich für die schwache Entwicklung seien neben den Energiepreissteigerungen unter anderem höhere Zinsen, die restriktive Finanzpolitik nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Herbst 2023 sowie nachlassende Exporte nach China gewesen. Die Inflation ist im Vergleich zu den Vorjahren 2024 zwar wieder gesunken, lag mit 2,5 % aber immer noch über dem Zielwert der Europäischen Zentralbank von 2 %.

Das hat auch den privaten Konsum belastet, der im vergangenen Jahr pro Kopf 1,3 % geringer ausfiel als 2019. Lediglich die Beschäftigung hat sich „sehr positiv“ entwickelt: Das Ziel der Bundesregierung wurde übererfüllt, die Beschäftigungsquote übertraf 2024 mit 81,1 % sogar das Vorkrisenniveau – auch dank des großzügigen Einsatzes von Kurzarbeit in Krisenzeiten. Die Leistungsbilanz hat sich zwar zielkonform entwickelt, der Überschuss war mit 5,8 % des BIP zuletzt aber nur knapp unter seinem zulässigen Höchstwert. Der hohe Überschuss ist nicht zuletzt Donald Trump ein Dorn im Auge, der Europa deswegen mit noch höheren Zöllen droht.

Klägliche Investitionsquote

Auch bei den Staatsfinanzen haben die Krisen Spuren hinterlassen: Das strukturelle staatliche Defizit lag 2024 mit 1,4 % über der Grenze des EU-Fiskalpakts von 0,5 %, der Schuldenstand war mit 63 % des BIP ebenfalls etwas zu hoch. Beide Werte haben sich laut Lindner und Tiefensee allerdings im Vergleich zu den Vorjahren – auch infolge der Inflation – verbessert, zudem stehe Deutschland besser da als die meisten EU-Länder, die im Schnitt auf eine Schuldenquote von 81,6 % kommen. Die Schuldentragfähigkeit sei nicht gefährdet. Für viel bedenklicher halten die Forschenden die klägliche Investitionsquote: Netto investierte der Staat 2024 nur 0,1 % der Wirtschaftsleistung. Die Mittel, die nötig sind, um den Investitionsstau aufzulösen, seien ohne zusätzliche Schulden nicht aufzubringen. Insofern sei das Sondervermögen für Infrastruktur unbedingt zu begrüßen.

Ziele verfehlt bei sozialer Nachhaltigkeit

Im Hinblick auf soziale Nachhaltigkeit seien ebenfalls alle Zielwerte verfehlt worden, heißt es in der Studie. Der Anteil der Armutsgefährdeten an der Bevölkerung lag 2023 – dem letzten Jahr, für das Daten verfügbar sind – bei 16,6 %, gut drei Prozentpunkte über dem anvisierten Zielwert. Dass die Quote seit 2021 immerhin minimal gesunken ist, erklären Lindner und Tiefensee unter anderem mit dem höheren Mindestlohn.

Die Einkommensungleichheit hat ihrer Analyse zufolge 2023 zum zweiten Mal in Folge zugenommen: Das Einkommen des oberen Fünftels der Haushalte war 4,6-mal so hoch wie das des unteren Fünftels. Vom gesamten Nettovermögen besaß 2023 das obere Zehntel 61 %, die untere Hälfte 2,3 %. Der Anteil der 18- bis 24-Jährigen ohne Hochschulreife oder Berufsausbildung belief sich 2023 auf 13,1 % und ist seit 2021 um 1,5 Prozentpunkte gestiegen, während er im OECD- und EU-Durchschnitt gesunken ist. Lediglich in Sachen Geschlechtergleichheit ist eine leicht positive Entwicklung festzustellen: Die Lohnlücke ist in den vergangenen drei Jahren um zwei Prozentpunkte gesunken, lag allerdings 2024 immer noch bei 16 %.

Trügerische Hoffnung bei ökologischer Nachhaltigkeit

Die Zahlen zur ökologischen Nachhaltigkeit machen auf den ersten Blick Hoffnung: Bei der Senkung der Treibhausgasemissionen wurden die Ziele des Klimaschutzgesetzes seit 2019 eingehalten. Die Emissionen lagen im vergangenen Jahr 47,6 % unter denen von 1990 und 3 % unter denen von 2023. Ursächlich dafür seien allerdings vor allem Produktionsrückgänge in energieintensiven Industrien gewesen, so Lindner und Tiefensee. Das heißt: Ein großer Teil der Reduzierung ist krisenbedingt, dürfte damit nur vorübergehend sein und hat einen Preis bei Wachstum und Beschäftigung. Der Primärenergieverbrauch sei ebenfalls deutlich gesunken – seit 2019 um 17,8 % –, der Anteil der Erneuerbaren am Endenergieverbrauch von 17,3 auf 22,4 % gestiegen. Die Ziele der Regierung seien aber jeweils verfehlt worden.


IMK vom 11.06.2025 / RES JURA Redaktionsbüro (vcd)

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